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Hinter den Gipfeln

versinkt ein weißer

Traum im Abendrot

 

Gleißend in der Vormittagssonne scheinen die schroffen Zinnen zum Greifen nah. Majestätisch und drohend zugleich blicken die Felsengipfel aus fast 3000 Metern Höhe auf das ameisenhafte Treiben auf den Skipisten unter ihnen herab. Lautlos schweben Sessellifte über einer Schlucht dem „Cimon di Lagorai“ entgegen. Die Gespräche der Fahrgäste sind versiegt. Jeder genießt auf seine Weise das grandiose Schauspiel der Dolomiten. Saugt den Anblick von Wald, Schnee, Himmel und Felsen in sich auf, möchte ihn am liebsten mit der ganzen Welt teilen. Arbeit oder Liebeskummer, Freud´ oder Leid sind für einen Augenblick weit weg. Der Zauber des Fleimstals im Nordosten des Trentino.

„Attenzione!“ – Maurizio reißt die Gruppe aus ihren Träumen. Im „Val di Fiemme“, dem trentiner Fleimstal, spricht man italienisch. Jetzt heißt es, die Bügel zu öffnen. Über 1000 Meter Höhenunterschied führt der Skilehrer seine Schäflein auf der schwarzen „Olimpia“-Piste von der 2250 Meter hoch gelegenen Alpe Cermis sechs Kilometer lang schwungvoll zu Tal bis an die Gondel über den Avisiofluss nach Cavalese (seit dem tragischen Unglück im Februar 1998, als ein Düsenjet das Seil kappte, durch eine Umlaufbahn ersetzt).

In Cavalese ist Sitz der „Magnifica Comunita“. In dieser „Herrlichen Gemeinschaft“ sind die über 35 Kilometer verteilten Talgemeinden seit dem Jahr 1111 brüderlich vereint. Politisch längst entmachtet, genießt sie auch heute noch das Recht zur autonomen Forst- und Viehwirtschaft, deren Gewinne karitativen Zwecken zufließen. Ihre Freskenverzierter Palazzo beherbergt eine einzigartige Pinakothek mit Bildersammlungen der „Scuola fiemmese“ aus dem 18. Jahrhundert.

„Molto bene“, lobt Maurizio, als seine vier Begleiter leicht schwächelnd in den kostenlosen Bus zur Alpe Luisa steigen. Das kleine Tesero liegt auf dem Weg. Noch schöner als die Ausstellung von mehr als 80 Krippen zur Winterzeit sind hier die verwinkelten Straßen der „Corte“, wo noch ein Hauch antiken Lebens zu verspüren ist. Überhaupt sind viele Ortskerne im Tal seit Jahrhunderten praktisch unverändert. Die familiär geführten Hotels fügen sich harmonisch ein.

„Schulter nach vorn´, Knie beugen“, gibt Maurizio auch auf deutsch und wie immer strahlend seine Anweisungen. Im Sommer arbeitet der 36-jährige auf einer Baustelle, die im Winter ruht. Ob seine Vorfahren wohl ahnten, dass im Fleimstal einmal 53 Lifte und 150 Kilometer Pisten mit jeder Menge Beschneiungsanlagen angeboten würden? Schließlich hielt das Skifahren hier erst im Jahr 1901 Einzug.

Heute erschließt der „Superskipass Dolomiti“ – sechs Tage für 291 Mark – mit 464 modernen Aufstiegsanlagen in Südtirol und Trentino gar 1180 täglich aufs Neue feinst präparierte Abfahrtskilometer, und das für Kinder bis acht Jahre sogar kostenlos. Gegrillter Toséllakäse – eine Fleimser Spezialität -, Polenta und Pfifferlinge geben nach der Ausnutzung der vielen Pistenmeter auf einem der ungezählten Berggasthöfe schmackhafte Stärkung. Dazu fließt in Maßen aromatischer Rotwein aus taleigenen Kellereien.

Auf den Loipen ist das Skifahren hier ebenfalls zu Hause. Nicht umsonst bewirbt sich Val di Fiemme um die Nordischen Skiweltmeisterschaften im Jahr 2003. 1991, sagt der Skilehrer stolz, waren sie hier schon einmal ein großer Erfolg.

Nichtskifahrer kommen sommers wie winters ebenfalls auf ihre Kosten, finden Eisstadien, Schwimmbädern und Fitness-Center. Die dichten Wälder – hier wächst das rote Holz für den Bau von Stradivari-Geigen – versprechen ausgedehnte Waldspaziergänge. Der Naturpark „Paneveggio“ soll den Lebensraum der kostbaren Flora und Fauna sichern. 16 Prozent des Trentino stehen unter Naturschutz. Biologen pirschen in Schneeschuhen mit den Besuchern auf Spuren von Reh und Luchs oder reizen den Raufußkauz zum spektakulären Anflug.

Am Fuß der blauen Pisten der Alpe Lusia löst die Gruppe letztmalig die Skibindungen. Mit einem energischen „Finito, grazie!“ beendet Maurizio die Pistensafari. Auf den Flutlichthang in Ziano wird heute verzichtet.

In der urigen Talhütte ist es warm. Beim hochprozentigen Grappa vermischen sich Wahrheit und Gefühle. Lärmendes Aprés-Getümmel vermisst kaum einer Das familienfreundliche Fleimstal ist die ruhige Alternative zu Südtirol, ohne dass der Besucher deshalb auf Diskotheken und Pubs und andere Annehmlichkeiten in der Nähe seines Hotels verzichten müsste.

Es dämmert über dem Avisio. Die Lifte haben ihren Betrieb eingestellt. Es heißt Abschied nehmen. In der Ferne erglüht der „Cimon di Lagorai“ im Abendrot. Ein weißer Traum geht zu Ende.                  -uwa- 1998

 

Informationen: Tourismus Trentino --- Reisefotos