Home +++ Reisen +++ Guckst Du +++ Im Lauf der Jahre +++ Impressum +++ Datenschutzerklärung

Liedekerke - Liebe auf den zweiten Blick

Steinfurt und die belgische Kommune sind seit 1975 Partnerstädte

Liedekerke, das ist... - beim Wochenmarkt auf dem Burgsteinfurter Wilhelmsplatz meist ein großes Fragezeichen. Obwohl Liedekerke bereits im Jahr 1092 erstmals urkundliche Erwähnung fand. 883 der seitdem verstrichenen 900 Jahre kümmerte sich die belgische Gemeinde allerdings genausowenig um das 340 Kilometer entfernte Burgsteinfurt wie umgekehrt. Bis sich beide Städte 1975 nicht zuletzt auf Initiative des damaligen Stadtdirektors Ernst-Werner Wortmann offiziell miteinander verbroederten (verbrüderten). So verkündet es ein Schild am Ortsrand der flämischen Gemeinde; Partnerstädte nennt man das in Deutschland. Doch dann mußten sich Borghorst und Burgsteinfurt zur Stadt Steinfurt zusammenschließen, die die Rechte und Pflichten dieser Mitgift selbstverständlich übernahm. Dadurch sah sich Liedekerke plötzlich einem dreimal größeren "Broeder" gegenüber und hat es seitdem dreimal so schwer, bei diesem so richtig bekannt zu werden. Der 900. Geburtstag im Jahr 1992 bot deshalb einen Anlaß, dies zu unterstützen.

Viele private Kontakte halten die Partnerschaft lebendig. Aber auch offizielle Besuche werden gepflegt, wie dieses Foto aus dem Jahr 1998 zeigt.

Liedekerke, das ist... - eine 11 600 Einwohner zählende Gemeinde in der belgischen Provinz Brabant, direkt an der Grenze zu Ostflandern. Knapp 20 Kilometer von der europäischen Metropole Brüssel entfernt, ist es die Schlafstadt für viele dort Beschäftigte. 2000 bis 3000 Pendler zählt man täglich am Liedekerker Bahnhof, die aus der ganzen Umgebung zur Arbeit in die Hauptstadt fahren. Einzelhandelsgeschäfte, die aufgrund eines lockeren Ladenschlußgesetzes zum Teil sogar sonntags geöffnet haben, prägen das Bild an den langen niedrig bebauten Hauptstraßen Liedekerkes. Ein großes Industrieunternehmen sucht man Liedekerke vergeblich. Die Arbeitslosigkeit liegt über dem Durchschnitt, denn das Bauhandwerk. einst Domäne der Kleinstadt, liegt brach. Größter Arbeitgeber ist die Stadtverwaltung mit knapp 100 Mitarbeitern. Dazu aber auch 13 Beamte der Stadtpolizei. Auch Liedekerke kennt nach Angaben von Gemeindesecretaris Marc Mertens das Problem, das auch der Anteil der alten Menschen an der Gesamtbevölkerung stärker wächst.

Kommunale Bedienstete sind zudem drei Zeichen- und 16 Kunstlehrer. In der 15 Jahre alten Akademie für bildende Künste (Motto: "Picasso? Dat kan ik ook") im alten Rathaus Liedekerkes und in vier "Filialen" in der Umgebung malen und werken 600 Kunstbeflissene. Innerhalb von fünf Jahren können sie dort ein Diplom zu erwerben, daß ihnen den späteren Berufsweg erleichtert. Dafür wird lediglich eine Einschreibegebühr erhoben.

Nur 400 Einwohner fehlen Liedekerke bis zur nächsten Kommunalwahl (alle sechs Jahre noch, damit die Zahl der Ratsvertreter von 21 auf 23 angehoben werden kann. Zur Zeit wird die Gemeinde von einer bürgerlich-liberalen Koalition regiert. An der Spitze steht Bürgermeister Etienne Schouppe, hauptberuflich Präsident der belgischen Eisenbahn. Zur Seite stehen ihm die "Schepen", eine Art gewählte Amtsleiter. Volks- und Amtssprache ist flämisch, das sich vom Niederländischen kaum unterscheidet.

Liedekerke, das ist... - vor 3000 Jahren im unteren Teil noch viel Morast und im oberen viel Wald gewesen. Wahrscheinlich ist es noch viel älter als 900 Jahre. Der Fischreichtum der Dender - heute ein umweltbelasteter Grenzfluß zwischen Liedekerke in der Provinz Brabant und Denderleeuw in Ostflandern - dürfte schon früh Menschen dorthin verschlagen haben.

Liedekerkes wesentliche Hauptstraßen basieren auf Feldwegen aus dieser Zeit. Ein Adelsgeschlecht, das sich später Grafen von Liedekerke nannte, gab es jedenfalls schon. In ihrem Nachlaß fand sich die vom damaligen Grafen Rudolphus Tornacensis unterzeichnete Stiftungsurkunde einer Augustinerabtei aus dem Jahr 1092. Darin wird "Lidecherchis" erstmals erwähnt. Der Name ist, so vermutet der Heimatforscher William Gobbaert, auf die fränkische Bezeichnung für Hang -Liede, Lede, Lith - zurückzuführen, an dem später die Kirche entstand. Heute beherrscht die St.-Niklaas-Kerk den Standort, der möglicherweise Ursprung des Namens war.

Deren Kirchenschiff ist allerdings weniger historisch. Es wurde erst im Jahr 1903 neu errichtet, nachdem es 1843 noch restauriert worden war, Der Kirchturm von 1743 hat allerdings schon mehr von der bewegten, Geschichte Liedekerkes gesehen, die von jahrelangen Grenzstreitigkeiten mit dem unmittelbar benachbarten Denderleeuw geprägt wurde.

Die "Heeren van Liedekerke" zählen übrigens zu den ältesten Adelsgeschlechtern des Landes. Noch dürfen sich 136 Belgier Graf von Liedekerke nennen. Ihr Herrenhaus existiert allerdings nicht mehr. Dort, wo sich einst ihr Kastell erhob, steht jetzt ein großes Altersheim. Immerhin ist es gelungen, einige Steine der alten Burg zu retten. In der kleinen "Kapelle unserer lieben Frau" unweit des Rathauses finden sich noch in Sandstein gehauene Wappen der Grafen.

Ältestes Raus am Platz ist ein Gebäude aus dem Jahr 1634, in dem einstmals Bier gebraut wurde. Heute trifft sich der Motorradclub "Huricane" in dem grauen Haus gegenüber dem Marktplatz.

Nur noch ein Mauerstumpf blieb vom 1653 errichteten Karmeliterkloster in Liedekerke nach der französischen Revolution übrig. In einem Wäldchen nahe der Kapelle zu Ehren der Lieben Frau zur Mühlen -ein Vorgänger der Kapelle stand dort bereits 1252 - fristet er ein eher unbeachtetes Dasein. Eine Gedenktafel erinnert an den Tod von fünf Soldaten.

Liedekerke, das ist... - der Nabel Belgiens, wenn es um elektronische Datenübermittlung geht. Die RTT Belgacom, der Telekom in Deutschland vergleichbar, richtet dort ihre im Durchmesser bis zu 9,60 Meter großen Parabolspiegelantennen hundertstelmillimetergenau auf die Satelliten am Himmel aus und sorgt für die Datenkommunikation zwischen Belgien und der Welt. "Die Fernseher bleiben dunkel", behauptet man in Liedekerke stolz. Zumindest stimmt das beim Pay-TV-Programm Filmnet, denn dieses wird von den jungen Ingenieuren hier für das ganze Land eingespeist.

Ein weiterer Superlativ ist die überdachte Natureisbahn olympischen Ausmaßes auf Liedekerkes Sportgelände. Mehr als eine Million Schlittschuhläufer haben auf ihr seit ihrer Eröffnung vor fünf Jahren die Kufen flitzen lassen. Heute hat sich der jährliche Besuch in der neunmonatigen Saison bei 120 000 eingependelt. Der Schlittschuhklub widmet sich der Sportarten Eiskunstlauf, -tanz und Short-Track, und die belgische Olympiamannschaft gab hier vor der Abreise nach Barcelona ihre letzte Pressekonferenz. Darüberhinaus verfügt Liedekerke über Schwimmbad und Fußballplätze.

Großflächigen Raum nimmt auch die "Civile Bescherming" ein, eins von vier dem Technischen Hilfswerk oder dem Katastrophenschutz ähnlichen Zentren in Belgien. Wer nicht zum Militär gehen oder keinen Zivildienst leisten möchte, kann seinen Zeit hier im Zivilschutz ableisten.

Liedekerke, das ist... - auch reges Vereinsleben. Angefangen bei den beiden offiziellen Fußballklubs, dem fünftklassigen FC Liedekerke und dem FC Impegem, gibt es 22 unabhängige Vereinigungen vom Roten Kreuz bis zur Thekenmannschaft "De Krakboys", 20 katholische Vereine, zwei liberale, drei sozialistische Organisationen, den Vlaamse Kring Pajottenland und die Humanistische Jongeren. Sie alle bieten ein breites Feld zur Vertiefung der Partnerschaft zwischen Steinfurt und Liedekerke, wo beim jüngsten Nationalfeiertag versehentlich die deutsche Flagge vor dem Rathaus gehißt wurde.

Wer typische Mitbringsel aus Liedekerke sucht, ist beim "Kantclub De Snufdooze" bestens aufgehoben. Unter Leitung von Monique Segers, die auch Unterricht erteilt, halten hier derzeit 30 Frauen die Tradition der Spitzenklöppelei aufrecht ."Die besten Brüsseler Spitzen kommen aus Liedekerke", sagt man hier stolz. Einst diente die Klöppelei (Kant) den

Frauen des Ortes zur Aufbesserung der schmalen Haushaltskasse, denn der Verdienst ihrer Männer als Bauarbeiter war niedrig. Daran erinnert die Skulptur "Ode an de Kant' neben dem Rathaus.

Liedekerke, das ist... - für den von den eigenen historischen Gebäuden verwöhnten Steinfurter Liebe auf den zweiten Blick. Diese wird vor allem von seinen Menschen geweckt. Unkompliziert, liebenswürdig und vorurteilsfrei, so ist zumindest der Eindruck, schließen sie den Fremden in ihr Gespräch mit ein, wenn er erkannt wird. Viele wissen in den an Markttagen besonders lebhaften urigen Gaststätten selbst von Besuchen in Deutschland zu berichten. Daß Liedekerke darüberhinaus auch einige erstklassige Adressen für Feinschmecker hat, darf ebenfalls nicht unerwähnt bleiben. Und Biertrinker sollten wissen, daß Belgien auf mehr als 900 verschiedene Sorten des edlen Gebräus stolz ist.

®1992 uwa Foto: Freunde aus Liedekerke

Home +++ Reisen +++ Guckst Du +++ Im Lauf der Jahre +++ Impressum +++ Datenschutzerklärung