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Triumph der leisen Töne

Langsam klettert die Sonne über den Bauca. Eben noch hat der Hausberg von Galilea seinen Schatten auf den kleinen Ort geworfen. Vielstimmiges Vogelgezwitscher begrüßt den nahenden Tag. Irgendwo kräht ein Hahn. In der Ferne glitzert das Mittelmeer vor den großen Hotels von Peguera. Aus dem Tal brummt ein Dieselmotor heran – ein Fincabesitzer lässt seine Zisterne mit frischem Wasser füllen. Fast das einzige technische Geräusch, das die beinahe greifbare Stille in Mallorcas höchstgelegenem Dorf (460 Meter) von Zeit zu Zeit stört.

Vom Tourismus zwar entdeckt und von Ausländern als Zweitwohnsitz geschätzt, hat sich die 200-Seelen-Gemeinde oberhalb von Puigpunyent ihre Ursprünglichkeit bewahren können. Die Bar Galilea, eins von zwei Restaurants, verwöhnt die Sinne mit Tapas und deftiger „Cocina Mallorcina“, Margalidas Lebensmittelladen mit herzlicher Gelassenheit und die Finca Esbart als einziger Beherbergungsbetrieb mit ihrem harmonischen Ambiente. Ein idealer Ort zum Seelebaumelnlassen, ein idealer Ort aber auch für die immer größer werdende Schar der Aktiv-Urlauber, um von hier aus die Bergwelt der wohl vielfältigsten Mittelmeerinsel zu erkunden. Gruppenwandern liegt im Trend.

 Unzählige Wege durchziehen die Sierra Tramuntana, das bevorzugte Wandergebiet der Insel. Die gewaltige Gebirgskette erstreckt sich  über mehr als 100 Kilometer von Sant Elmo bis zum Cap Formentor. Meist sind es vier- bis sechsstündige Wanderungen mit Höhendifferenzen um die 500 Meter von leicht bis anspruchsvoll, die Spezialveranstalter wie Wikinger-Reisen heute in ihren Programmen haben. Häufig geht es über  Privatbesitz, weshalb ein ortskundiger Führer unverzichtbar ist. Manche Verbindungen folgen historischen Spuren wie dem ehemaligen Reitweg des Erzherzogs Ludwig Salvator. Son Marroig, der Wohnsitz des einstigen Habsburger Adelssprosses an der Landstraße C 710, ist immer noch ein gern gewähltes Fotomotiv.

„Mallorca, das ist doch nur ,Ballermann‘“, hat es von vermeintlich Eingeweihten daheim verächtlich als Reisetipp mit auf den Weg gegeben. Aber die Amüsiermeile an der Playa de Palma mit ihrem verballhornten Namen ist nicht nur wegen ihrer geographischen Entfernung ganz weit weg. Abseits der Küstenstreifen triumphieren die leisen Töne.

Ein Blick auf die bunt zusammengewürfelte Truppe, die sich in Galilea auf eine Wanderung vorbereitet,  lässt gleich ein weiteres Klischee vergessen. Den Karohemd und Knickerbocker tragendem Wanderer gibt es nicht mehr,  T-Shirt und Shorts bestimmen das Bild. Zwar können Macchia-Sträucher die Beine zerkratzen, Brennnesseln sind  jedoch nicht zu fürchten. Keine Kompromisse gibt es dagegen beim Schuhwerk.Trittsicherheit ist gefragt, gibt es doch auch im alpinen Gelände Mallorcas immer wieder einmal Abschnitte der so genannten Zwei- und Drei-Stiefel-Kategorie zu überwinden. Das Alter der Teilnehmer ist breit gefächert, gerne finden sich Singles in den acht- bis 15-köpfigen Gruppen wieder.

„Eingewandert“ hat sich die gemischte Schar Tags zuvor auf einem alten  Postweg unterhalb des Städtchens Deya. Auf- und Abstieg vorbei an Terrassen mit unzähligen bizarr geformten Olivenbäumen erfordern zwar kein übergroßes Geschick. Doch hätten auch  die Briefträger sicher schon gerne in der liebevoll eingerichteten „Posada del Rei Jaume 3“  gerastet. In ihrer restaurierten Ölmühle bieten „König Jaume“ und seine emsige Frau Antonia den Wanderern frisch gepressten Orangensaft und Mandeln aus eigener Ernte an. Oder sie hätten sich im Winter mit den Besitzern um den winzigen Eisen-Ofen drängen können,  um sich aufzuwärmen und den neuesten Insel-Klatsch auszutauschen. Vielleicht haben  sie  das Glöckchen der inzwischen verfallenden Kapelle eine Wegstunde später  läuten hören. Ganz bestimmt aber hielten die Boten beim grandiosen Blick auf die kreisrunde Bucht von Soller für einen Moment den Atem an und labten sich später auf dem Marktplatz an einem Café con leche. Die Wanderer zieht es dagegen nach Ankunft zum Bahnhof. Von dort erlaubt ihnen der „Rote Blitz“, eine elektrische Siemens-Bahn  aus dem Jahr 1912,  nach einstündiger Fahrt eine Stippvisite in der nahen Insel-Hauptstadt Palma.

 Das gemeinsame Hobby und die unkomplizierte Art der Organisation haben schon ein gemeinschaftliches Klima geschaffen, als Frank Mittelbach heute zum Aufbruch gen Estellencs bittet. „Frisches Rosmarin“, lenkt der Wanderführer schon bald den Blick auf ein grünes Kraut. Üppig sprießt es aus der Ritze einer für Mallorca so typischen Trockenmauer.  Thymian, Salbei und Lavendel haben hier ebenso eine Heimat wie die filigranen Orchideen, die sich am Wegesrand verstecken. Dass im letzten Sturm gefallene Aleppokiefern zu Umwegen zwingen,  bringt  Mittelbach nicht wirklich   in Verlegenheit.

Immer häufiger schaut der Galatzo, mit 1026 Metern höchster Berg im Südwesten der Balearen-Insel,  jetzt durch das lichter werdende Dach von Steineichen  auf die Wanderer hinab. Erdbeerbäume säumen eine Zeit lang den längst zur schmalen Fußspur verengten Weg bergan. Was ihre Strauchhöhe an Erntefreundlichkeit verspricht, verdirbt leider der  gewöhnungsbedürftige Geschmack ihrer Früchte. Ein frischer Wind weht auf dem  schmalen Bergsattel, der  in 900 Metern Höhe erste Anforderungen an die persönliche Schwindelfreiheit stellt. Doch die ungetrübte Fernsicht ist die Mühe wert. Um wieviel größer mag das Gefühl von Freiheit und Unbeschwertheit erst auf dem Gipfel des Galatzo sein?

Die heutige Route lässt die Frage unbeantwortet. Nach Überquerung eines jahrhundertealten Geröllfeldes geht es an den Abstieg. Verlassene Köhlerstellen erinnern unterwegs an die  Zeit der Holzkohleproduktion, runde Steinbauten an die mühselige Arbeit der Kalkbrenner. Im „Hotel Maristel“ wartet eine opulent ausgestattete Paella. Das spanische Nationalgericht aus Valencia hat auch die Baleareninsel erobert und kommt als deftige Stärkung gerade recht.

Uwe Wahlbrink 05/2003

Tipps: Wikinger-Reisen - Spanisches Fremdenverkehrsamt

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